Jäger der verlorenen Talente
Wie kommen Industrieunternehmen heute an Nachwuchs? Wie weit hat sich die Einstellung der Bewerber wirklich verändert? Wie sind die regionalen Unterschiede? Welche Chancen liegen im datenbasierten Recruiting, und für welche Unternehmen kommt es infrage? Und wie positioniert sich die UNITED GRINDING Group in diesem Wettbewerb um die Zukunft? Die Experten Karin Bauder-Zilly und Gero Hesse diskutieren mit Stephan Nell, CEO der UNITED GRINDING Group.
Ist es schwieriger geworden, Nachwuchs für Industrieunternehmen zu rekrutieren? Und falls ja, woran lassen sich hier Veränderungen festmachen?
HESSE Eindeutig, ja. Es ist auch wenig überraschend, wenn man an Themen wie Demografie, Digitalisierung oder Wertewandel denkt. Dies trifft sicherlich nicht in allen Ländern gleichermaßen zu, aber doch in vielen. Die Digitalisierung haben wir überall. Wir erleben seit etwa 2018 einen Paradigmenwechsel auf breiter Front. Ich beschäftige mich seit 25 Jahren mit der Thematik. Und so einen hohen Arbeitskräftemangel habe ich in Deutschland noch nicht erlebt. Das stellt alles auf den Kopf. So rückwärtsgerichtet, wie Unternehmen in den letzten 50, 60 Jahren mit Personal umgegangen sind, das hat einfach keinen Bestand mehr. Wir haben einen Machtverlust auf Arbeitgeberseite und eine deutliche Machtzunahme bei den Arbeitnehmern.
Sie sprechen von Deutschland …
BAUDER-ZILLY Ja, aber auch weltweit gesehen würde ich der Beschreibung zustimmen. Die Robert Bosch GmbH hat beim Hiring global größere Herausforderungen als in Deutschland, weil da die Marke nicht so bekannt ist. In Deutschland haben wir eine Awareness, die bei über 90 Prozent liegt. Aber generell gilt: Der Markt zieht an. Die Unternehmen müssen sich immer mehr einfallen lassen, sodass die Kampagnenbudgets wachsen. Klar gibt es Talente da draußen. Wir müssen nur attraktiv genug für die sein. Das gilt für alle Generationen.
NELL Wir finden Nachwuchs, es ist schwieriger geworden, aber wir finden ihn immer noch. Unsere Ausbildungsquote in Europa ist über zehn Prozent, das ist viel. Was Sie beschreiben, gilt für uns in Deutschland und der Schweiz. Zum Beispiel bieten wir in den USA eine Ausbildung, angelehnt an das Duale System der Schweiz oder Deutschlands, an. So sind wir in den USA auch für junge Menschen als Arbeitgeber attraktiv.
HESSE Das kann ich mir vorstellen. Aber Sie gehen da ja auch den Weg, etwas Interessantes anzubieten, das die Interessen der Zielgruppe im Auge hat.
NELL Ja, klar. Und in China finden wir auch problemlos Leute. Aber in anderen Teilen Europas ist die Situation ebenfalls anders als in Deutschland und der Schweiz. Schauen wir nach Italien, nach Spanien, wie hoch da die Jugendarbeitslosigkeit ist. Ich höre immer: Die Unternehmen müssen … Die Unternehmen müssen aber auch können. Denn allen werden wir nur gerecht, wenn wir selbst wettbewerbsfähig und erfolgreich sind – und zwar langfristig. Und der globale Wettbewerb, in dem wir stehen, lässt nicht immer alles zu, was Mitarbeitende und wir uns selber wünschen würden.
HESSE Da bin ich mir nicht so sicher. Es ist eine Frage des Marktes. Wenn der Arbeitsmarkt gut ist, müssen Sie gar nichts tun. Aber der Markt ist nicht gut. Ich weiß doch, was in den Unternehmen los ist. Heute sitzt man zu dem Thema im Vorstand zusammen, früher war es auf Referentenebene.
NELL Wenn es hier gar nicht mehr geht, werden die Unternehmen in die Länder ausweichen müssen, in denen es geht. Und wo die Menschen nicht nur fragen: „Was kann das Unternehmen für mich tun?“, sondern auch: „Was kann ich für das Unternehmen tun?“. Wir versuchen, den Bedürfnissen der Mitarbeitenden, so gut es geht, nachzukommen. Aber nicht alle Wünsche lassen sich erfüllen. Beispielsweise kann man eine Berufsausbildung nicht in Teilzeit absolvieren – diese Frage wurde uns schon gestellt.
HESSE Ich sage ja gar nicht, dass wir uns immer komplett nach den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden richten müssen. Manchmal muss man erst mal ein Gefühl für Arbeit herstellen. Was bedeutet das eigentlich? Dass es eben kein Wünsch-dir-was ist an allen Stellen. Aber man muss aufpassen, aus welcher Perspektive man argumentiert.
BAUDER-ZILLY Ich habe wirklich ganz tolle Leute in meinem Team, die frisch von der Uni kommen, die was wollen und viel Drive haben. Natürlich fordern die auch was von mir, aber das dürfen sie auch. Ich fordere ja auch etwas.
Können wir die Generation Z mittlerweile nicht schon etwas entmystifizieren? Vielleicht ist sie doch eher ein deutsches Feuilletonthema. Es gibt auch viele Untersuchungen, die zeigen, dass sie in ihren Bedürfnissen gar nicht so anders ist. Ein sicherer Job ist weiterhin der wichtigste Wunsch …
BAUDER-ZILLY Ja, es ist in der Zwischenzeit nachgewiesen worden, dass die größten Unterschiede von Lebensphasen abhängen und nicht von Generationen. Das kann ich auch aus meinem persönlichen Erleben nachvollziehen, als Mutter von drei Kindern. Menschen sind davon getrieben, dass sie in einer bestimmten Lebensphase sind. Sie geben vielleicht besonders viel, weil sie gerade von der Uni kommen und der Job jetzt ganz viel Raum einnehmen darf. Und in einer anderen Phase, wenn sie sich ein Haus bauen oder Kinder kommen, verändert sich das wieder. Das hat gar nichts damit zu tun, ob ich 1978 oder 1998 geboren bin. Wir haben in einer Umfrage herausgefunden, dass mobiles Arbeiten für die älteren Professionals sogar wichtiger ist als für Studierende. Möglicherweise weil sie mehr Flexibilität brauchen aufgrund ihrer Lebensphase.
HESSE Wer heute 16 Jahre alt ist und aufwächst mit Klimawandel und Ukrainekrieg, wird dabei ein anderes Gefühl haben als jemand, der vor zehn Jahren in dieser Lebensphase war. Ich würde das aber nicht überbewerten. Am Ende ist es so, dass Menschen ihre Bedürfnisse berücksichtigt wissen wollen – und aus dem Markt ergibt sich, dass sie bessere Voraussetzungen denn je haben, das auch durchzusetzen. Das mache ich nicht an Generationen fest. Menschen, die einen Bürojob haben, sagen sich heute einfach: Wieso soll ich jeden Tag ins Büro kommen, wenn ich das von zu Hause aus genauso machen kann? Aber das sagen 50-Jährige ebenso wie 25-Jährige.
NELL Viele junge Leute, die heute bei uns sind, sind nicht anders als früher. Und war es nicht immer die Elterngeneration, die eher besorgt in die Zukunft geblickt hat? Und unsere Erfahrung mit dem Thema Homeoffice ist die, dass diese Möglichkeit von vielen Mitarbeitenden gar nicht genutzt wird. Eine Begeisterung für den Job, das Unternehmen und das Team entwickelt sich vor Ort im Betrieb. Über Video allein entsteht keine Beziehung.
HESSE Ich bin zögerlich, Ihnen zuzustimmen. Ich erlebe in der Arbeitswelt unserer eigenen Firma mit 550 Menschen, dass extrem viel virtuell und digital läuft, weil das Geschäftsmodell es erlaubt. Und natürlich ist der persönliche Kontakt wichtig. Aber wir überlegen sehr stark, wie wir bestimmte Momente schaffen, die für die Identifikation und Motivation geeignet sind, um die normale Arbeit dann doch in den meisten Fällen digital abzubilden.
NELL Bei uns ist der Kreis derer, die im Werk sein müssen, größer, denn die Maschinen muss ja jemand zusammenbauen. Das geht nicht von zu Hause aus. Diese Mitarbeitenden wiederum brauchen Unterstützung von vor- und nachgelagerten Tätigkeiten beziehungsweise Arbeitsstellen. Damit reduziert sich das Homeoffice-Thema bei uns auf wenige, bei denen es überhaupt möglich ist, ohne dass die Effizienz der Arbeitsabläufe darunter leidet.
HESSE Jobs sind einfach nicht gleich. Oft wird Homeoffice als ungerecht wahrgenommen. Aber wie war es denn früher, wenn man in der Fabrik gearbeitet hat, von sieben bis drei, und der Verkäufer musste morgens um sieben los und ist erst abends um neun nach Hause gekommen? Das war auch nicht gerecht.
Der in vielerlei Hinsicht veränderte Personalmarkt hat auch dazu geführt, dass sich die Methoden im Recruiting weiterentwickelt haben. Frau Bauder-Zilly, wie ist die Herangehensweise bei Bosch?
BAUDER-ZILLY Wir sind ein großes Unternehmen. Es geht global gesehen um viele Tausend Stellen, die wir besetzen. Es gibt viele Hunderttausende Bewerbungen, die jedes Jahr reinkommen. Deshalb müssen die Prozesse möglichst effizient sein. Wir analysieren, welche Daten entlang des kompletten Hiring Funnel anfallen – von Attraction bis zu dem Zeitpunkt, wo wir die Zusage aussprechen und den Vertrag rausgeben. So können wir unsere Prozesse optimieren und erkennen, wie und wo sich bestimmte Inhalte am besten vermitteln lassen. Zum Beispiel auf einer Veranstaltung vor Ort, mit einer Instagram-Kampagne oder einer Google-Search-Kampagne. Wir können dann ganz genau verfolgen, welche Zielgruppen wir mit der Maßnahme ansprechen oder an welchem Funnel-Schritt wir sie möglicherweise verlieren: Wie ist die Qualität der Bewerbenden, und wo kommt am Schluss eine Besetzung zustande?
Sie haben den Bewerbungs- und Auswahlprozess sozusagen automatisiert …
BAUDER-ZILLY Es geht jetzt nicht darum, dass eine Maschine den Besetzungsprozess übernimmt. Davon sind wir weit entfernt, und da möchte ich auch niemals hin. Aber nehmen wir zum Beispiel das Thema „hard to fill“, also eine Stelle, die schwer zu besetzen ist. Aber warum glaubt man eigentlich, dass sie schwer zu besetzen ist? Weil jemand diese Erfahrung gemacht hat. Aber es kann ja ein anderer Recruiter eine ganz andere persönliche Erfahrung gemacht haben. Bei solchen Fragen geben wir uns mit subjektiven Eindrücken nicht mehr zufrieden, sondern sagen: Okay, da schauen wir in die Zahlen. Wie lange steht die Stelle schon online? Ist sie ausreichend gut beschrieben? Sind zu viele interne Begrifflichkeiten enthalten, die draußen nicht verstanden werden? Ist der Anforderungskatalog viel zu groß und die Menschen fühlen sich überfordert? Ist die Textkomplexität zu hoch? Ist die Anzeige geschlechterspezifisch geschrieben? Wir haben ein Tool, das uns hilft, das zu identifizieren. Wir haben gesehen, dass sich auf Stellen, die komplexer beschrieben sind, mehr Männer bewerben. Wenn wir mehr Frauen einstellen wollen, müssen wir also auf die Formulierungen achten. Und dann sehen wir, wie die Anzeige nach der Optimierung performt. Mit solchen Vorgehensweisen können wir Conversion Rates verdoppeln.
Über welchen Zeitraum kann sich so ein Recruitingprozess ziehen?
NELL Wir müssen die Leute schon im Vorfeld an uns binden. Zum Beispiel können wir jemanden auf einer Veranstaltung kennengelernt haben, oder vielleicht hat die Person sich auch bei uns beworben. Wenn wir geeigneten Kandidaten in dem Moment keine Stelle anbieten konnten, bauen wir trotzdem einen Kontakt auf. Damit meine ich nicht, Newsletter zu verschicken, sondern persönlich anzurufen. Wie sieht es aus? Wie ist die Lebensphase? Braucht der Partner vielleicht auch einen Job in der Region, damit es klappt? Und wenn wir all die spezifischen Informationen haben, kriegen wir die als „hard to fill“ identifizierte Stelle auch besetzt.
HESSE Recruiting Analytics sind auf jeden Fall der Weg, der jetzt eingeschlagen wird. Etwa die Hälfte der Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden ist da schon dran. Dafür braucht es aber die entsprechende Stabsabteilung oder aber externe Unterstützung.
BAUDER-ZILLY Wir hatten schon Phasen, in denen wir viele Externe eingestellt haben. Im Moment sind wir eher in der Phase der Konsolidierung und konzentrieren uns auf echte Hard-to-fill-Positionen. Dazu gehören zum Beispiel Experten im Bereich Cybersecurity, Semiconductor oder künstliche Intelligenz. Das sind Fachkräfte, die wir nach wie vor von außen reinholen müssen. Ansonsten haben wir einen riesigen internen Arbeitsmarkt mit 130.000 Mitarbeitenden in Deutschland, die sich auch weiterentwickeln wollen. Die von uns gesuchten Profile sind sehr, sehr schwer zu finden. Das ist ein hartes Geschäft, und da spielen wir die komplette Klaviatur der Maßnahmen. Wir machen auch Eignungsdiagnostik – ein Thema, das wir gerade in unserem gebündelten Expertenservice, dem People Acquisition Campus, implementiert haben. Am Ende möchten wir immer stärker wegkommen von Bauchgefühlen und wirklich Entscheidungen treffen, die fundiert sind.
NELL Wir haben Mühe, in Deutschland Servicetechniker zu finden. Reisen, unterwegs sein, nicht mehr zu Hause sein, das wollen die meisten nicht. Also haben wir uns entschieden, die Sache selber in die Hand zu nehmen und unsere bestehenden Mitarbeitenden lokal vor Ort aus- beziehungsweise weiterzubilden, in unseren eigenen Service-Akademien.
HESSE Ließe sich dieser Job teilweise digitalisieren, etwa mit Fernwartung?
NELL In gewissem Umfang, ja. Digitale Lösungen wie Remote-Service sind im Kommen, und wir entwickeln auch laufend neue digitale Assistenzsysteme. An unseren C.O.R.E.-Panels lassen sich sogar Videokonferenzen direkt an der Maschine durchführen. Und das System ist intelligent genug, die wichtigsten Daten zu einer schnellen Fehlerbehebung direkt mitzuliefern, sofern der Kunde das zulässt. Auf diese Weise können sich unsere Kunden und unser Customer-Care-Team durchaus einige Reisen sparen. Aber am Ende des Tages ist es Maschinenbau mit tonnenschweren Maschinen, in denen viel Hightech steckt und bei denen sich nicht alle Arbeiten aus der Ferne erledigen lassen.
HESSE Das ist ein Problem in vielen Branchen, etwa auch im Pflegebereich. Es gibt so viele Beispiele, wo Homeoffice nicht funktioniert. Was können Arbeitgeber da tun? Sie können an ihrer Unternehmenskultur arbeiten und ihre Zielgruppe ganz passgenau ansprechen. Dazu müssen sie die exakten Bedürfnisse ihrer Zielgruppen kennen und entsprechend passende Angebote machen. In den nächsten Jahren wird die Arbeitsmarktsituation Unternehmen vermehrt zwingen, sich in der ein oder anderen Weise anzupassen.
NELL Was wir versuchen, ist, unseren Nachwuchs selber auszubilden. Wenn ich mir die Maschinenbauer anschaue, meistens Mittelständler, die Mühe haben, Leute zu finden, dann bilden die wahrscheinlich nicht genügend aus. Bei uns läuft das gut. Und unter denen, die die Ausbildung machen, finden sich vielleicht auch Servicetechnikerinnen oder -techniker.
BAUDER-ZILLY Ich finde es total gut, solche Themen langfristig anzugehen und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wer mit der Ausbildung anfängt, hat dann wirklich die Leute, die er braucht.
HESSE Viele Technologien und Mechanismen, die eigentlich im Marketing schon seit Jahren üblich sind, sind jetzt im Recruiting angekommen. Statt mit dem Bauchgefühl erfahrener Recruiter, die so ungefähr wussten, wer wo hinpasst, wird jetzt kampagnenorientiert mit Zahlen, Daten und mit spezifischer Zielgruppenansprache gearbeitet. Jemand, der im IT-Bereich arbeitet, will ganz andere Dinge erfahren als jemand in der Logistik, bei dem es vielleicht in erster Linie ums Gehalt geht. Da machen oft Centbeträge im Stundenlohn den Unterschied. Die alte Idee, dass wir eine Karrierewebsite haben, auf der sich Kandidaten raussuchen, was zu ihnen passt, die ist mehr und mehr passé. Und das ist kein deutsches Phänomen. Das ist international. Weil wir überall die Digitalisierung erleben – wie wir einkaufen, wie wir Fernsehen gucken, wie wir Musik hören. Überall steigt die Individualisierung, und das macht auch vor dem HR-Thema nicht halt.
BAUDER-ZILLY Für mich ist es bis zu einem gewissen Grad egal, ob ich jetzt einen Job verkaufe oder einen Erdbeerjoghurt. Natürlich ist es ein Unterschied, ob jemand im Supermarkt einen Joghurt kauft oder eine lebensverändernde Entscheidung für einen neuen Job trifft. Aber die Marketingmechanismen dahinter, die sind keine anderen. Das ist auch etwas, das ich erst mal verstehen musste und was in den HR-Abteilungen jetzt langsam angekommen ist.
HESSE Für mich ist Recruiting heute ein Dreiklang aus Technologie, datengetriebenem Arbeiten – und am Ende eigentlich der Frage: Warum sollte ich bei diesem Arbeitgeber arbeiten? Und die ist individuell für jeden Menschen zu beantworten.
NELL Eine Herausforderung im Maschinenbau ist das Image, das wir haben. Viele Leute wissen gar nicht, was wir tun und wie unsere Werke aussehen. Die haben immer noch die veraltete Vorstellung im Kopf, in der es in der Produktionshalle nach Öl riecht und die Hände schmutzig sind. In Wirklichkeit können Sie bei uns vom Boden essen. Die Arbeit besteht auch nicht mehr nur darin, etwas mit den Händen zusammenzubauen. Es geht um Hochtechnologie, also Hightech auf dem höchsten Niveau. Sonst könnten wir Maschinen mit dieser hohen Präzision gar nicht herstellen. Und dazu gehört natürlich auch hoch entwickelte Software. Deswegen beschäftigen wir inzwischen immer mehr Softwareingenieure. Und oftmals ist den Leuten gar nicht so bewusst, was der Maschinenbau alles ermöglicht. Wir sind als mittelständisches Unternehmen in den verschiedensten Branchen unterwegs. Seien es Automobil-, Flugzeug- oder Schiffsbau, die Energiebranche, Verpackung, Medizin und viele andere Dinge – auch jene, die es noch gar nicht gibt, die erst noch auf den Markt kommen. Irgendwer muss das alles ja produzieren. Wir versuchen, in erster Linie einmal zu zeigen, was wir überhaupt machen. Das Bemühen um den Nachwuchs spielt sich extrem lokal ab. Wenn wir in Tübingen Nachwuchs suchen, müssen wir in Tübingen aktiv sein, genauso in Thun. Die Leute sind nicht mobil, die wollen in ihrer Region bleiben. Und wir suchen Menschen an mehr als 20 Standorten. Manchmal versuchen wir auch, Fachkräfte dazwischen zu transferieren. Aber das ist schwierig. Es gibt wenige, die dazu bereit sind. Sehr positiv sind extrem lange Betriebszugehörigkeiten. Wir haben Leute mit über 50 Jahren Betriebszugehörigkeit und Mitarbeitende aus Familien, die schon in zweiter Generation für uns tätig sind. Und wir haben niedrige Fluktuationsraten. Und die Ziele? Wir wollen, dass die Leute die Extrameile gehen. Denn ich kann im Unternehmen alles kopieren, nur zwei Dinge nicht. Eines ist das Image, der gute Ruf der Marke, das müssen Sie sich erarbeiten. Die zweite Sache, die Sie nicht kopieren können, ist eine motivierte Mannschaft, die eben ein bisschen mehr macht als die anderen.
BAUDER-ZILLY Eigentlich wollen alle Unternehmen Mitarbeitende, die die Extrameile gehen. Ich glaube, dann ist eher die Frage: Wie komme ich denn dazu? Und da gibt es wahrscheinlich verschiedene Antworten. Und meine persönliche Antwort wäre schon, dass ich auch als großer Konzern wie der, für den ich arbeite, individuell auf die Bedürfnisse von Menschen in ihrer jeweiligen Lebensphase eingehen kann.
HESSE Und wie erreichen Sie das, Herr Nell, dass diese letzte Meile gegangen wird?
NELL Wir haben als Arbeitgeber einiges zu bieten. Wir sind ein international tätiges und dazu noch technologisch führendes Unternehmen. Das bietet eine Vielzahl an Berufsmöglichkeiten. Wir legen dabei viel Wert darauf, unsere Mitarbeitenden zu fördern – sei es durch Auslandserfahrung, Aus- und Weiterbildung oder darin, mehr Verantwortung zu übernehmen, also Karriere zu machen. Und das auch unabhängig von Zertifikaten oder Arbeitsnachweisen. Wir geben den Menschen, die es wollen und können, wirklich eine Chance. Und deshalb suchen wir auch primär die Menschen und nicht nur allein ihre Ausbildung.
HESSE Also die Haltung?
NELL Ja, der Mensch muss passen. Klar sollte er die Voraussetzung mitbringen, dass er den Job nachher machen kann. Aber fachliche Dinge kann ich lernen. Wenn der Mensch ins Team passt, dann kommt der Rest schon. Wenn er fachlich super ist, aber als Mensch nicht passt, dann geht es nicht.
HESSE Ich würde auch nicht sagen, dass der Bauch egal ist. Aber ich würde sagen, dass die Bauchentscheidung nicht vorne stehen sollte, sondern die Methodik sollte vorne stehen, ergänzt um das Bauchthema. Regional an Zielgruppen im richtigen Alter mit einer bestimmten Story ranzukommen, das geht heute, vor fünf Jahren noch nicht.
NELL Wir lassen zum Beispiel unsere Lernenden ihre Geschichte selbst erzählen, das ist am glaubwürdigsten. Sie bauen auf lokalen Messen den Stand selbst auf und drehen Videos und machen ganze Social-Media-Kampagnen. Wir geben nicht vor, was sie sagen sollen. Und wenn Fachkräfte erst mal bei uns sind, versuchen wir, sie zu halten. Die meisten sind mit Herzblut bei der Sache. Nicht 100 Prozent, das kriegen wir nicht hin. Aber ein großer Teil unserer Angestellten ist begeistert von dem Unternehmen, bei dem sie sind.