Vertrauen ist die Basis
Für einen geregelten Datenaustausch zwischen Maschinenhersteller und Maschinenbetreiber ist eines grundlegend: Vertrauen. Wie man das herstellen und pflegen kann. Ein Expertengespräch
Der Datenaustausch zwischen Anbietern und Kunden ist heute selbstverständlich und oft ein grundlegendes Geschäftsmodell. Im Bereich der Konsumgüter gibt es dabei viel Aufmerksamkeit für den Datenschutz. Wie steht es im B2B-Bereich und bei den Investitionsgütern um das Thema Datenschutz und Vertrauen?
Stephan Nell: Ich glaube, da muss man unterscheiden. Zum einen gibt es personenbezogene Daten. Für die gilt die europäische Datenschutz-Grundverordnung DSGVO. Zum anderen gibt es Prozessdaten. Als Maschinenhersteller entwickeln wir Prozesse mit dem Kunden, und mit einem Datenschutzbeauftragten haben wir dafür ein Konzept erarbeitet. Dieses besagt, dass wir definitv keine personenbezogenen Daten aus den Anlagen abziehen. Und bei Maschinendaten gilt der feste Grundsatz, dass wir nur auf die Maschine können, wenn der Kunde den Zugriff erlaubt. Also angenommen, es gibt einen Service-Request, den der Kunde digital absetzt. Er stellt dann aktiv die Verbindung zu uns her, die nach Abschluss des Remote-Service automatisch wieder gekappt wird. Solche Remote-Einsätze sind übrigens nichts Neues. Das können wir seit Jahrzehnten. Früher ging es mit dem Modem nur langsamer und umständlicher.
Frau Diethelm, Ihr Forschungsgebiet ist die digitale Ethik. Sie beklagen Dark Patterns, also unethische Verhaltensweisen. Ist der Maschinenbau diesbezüglich bei Ihnen schon auffällig geworden?
Cornelia Diethelm: Nein, der Maschinenbau wurde noch nicht auffällig. Das hat sicher damit zu tun, dass bei dem Thema die Konsumenten im Vordergrund stehen. Und da fallen Dark Patterns häufiger auf, weil mehr Menschen direkte Erlebnisse haben.
Stephan Nell: Die Situation in unserem Geschäft ist eine andere. Wir haben mit unseren Kunden langjährige Beziehungen. Wir verkaufen Investitionsgüter, keine Konsumgüter, und unser Geschäft basiert auf vertrauensvollen Partnerschaften. Wir würden langjährige Kundenbeziehungen zerstören, wenn wir uns nicht an die gemeinsamen Absprachen hielten – egal ob analog oder digital. Außerdem verkaufen wir nicht nur Maschinen, sondern auch Prozesslösungen, komplexe, individuell maßgeschneiderte Lösungen. Das geht nicht übers Internet.
Herr Xevelonakis, Sie sind der Leiter eines Hochschulcenters für Data Science. Was sagen Sie aus Ihrer Erfahrung: In welchem Spannungsverhältnis befinden sich Firmen und Kunden, wenn es um den Umgang mit Daten geht?
Evangelos Xevelonakis: Wir haben hier ein deutliches Spannungsfeld. Einerseits haben wir Unternehmen wie die UNITED GRINDING Group, die versuchen, basierend auf Daten, neue Produkte zu entwickeln, Schwachstellen zu identifizieren, ganz allgemein Prozesse effizienter zu gestalten. Auf der anderen Seite haben wir Kunden, die misstrauisch sind: Was passiert eigentlich mit unseren Daten? Schauen wir uns zum Beispiel das Thema Prozessmanagement an. Also: Warum haben wir Probleme mit einer Maschine? Weil Mitarbeiter sie nicht richtig bedienen können? Oder haben wir einen Maschinenfehler? Wenn es um Mitarbeiter geht, kann es heikel werden. Wir haben verschiedene Untersuchungen gemacht, zwar nicht im B2B-, sondern im B2C-Bereich, und die haben Folgendes gezeigt: Wenn Transparenz herrscht, wenn der Mitarbeiter weiß, was mit den Daten passiert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er das auch akzeptiert.
Stephan Nell: Da müssen wir wieder unterscheiden. Was machen wir als Maschinenlieferant, was macht der Kunde? Wir sind für die Maschine und ihre Performance zuständig. Für seine eigenen Mitarbeiter ist der Kunde verantwortlich. Man muss auch sehen, dass die meisten Maschinen CNC-gesteuert sind, das heißt, die Prozesse sind mehr oder weniger voll automatisiert. Natürlich könnte man ganz viel machen. Gehen Sie mal auf eine Maschinenbaumesse, da sehen Sie, dass rein theoretisch alles abgefragt werden kann und jegliche Prozessdaten ausgewertet werden können. Es stellt sich jedoch die Frage: Was ist wesentlich und relevant, wo liegt der Nutzen für den Kunden? Wir bieten zum Beispiel den Production Monitor an, der die Produktivität einer Maschine oder der ganzen Produktion transparent macht und damit auch Optimierungspotenziale aufzeigt. Aber das auszuwerten und die Regeln dafür zu erstellen, das ist die Aufgabe der Unternehmen, nicht unsere.
Evangelos Xevelonakis: Ich könnte mir vorstellen, dass bei Ihnen das Thema Predictive Maintenance eine wichtige Rolle spielt.
Stephan Nell: Absolut. Allerdings haben wir Maschinenverfügbarkeiten, die sehr hoch liegen, technisch gesehen. Da kann man nicht mehr sehr viel optimieren. Ich kann aber den Kunden unterstützen, den Betrieb und den Unterhalt seiner Maschine besser zu planen. Wichtig auch hier: Es muss einen Mehrwert geben für den Kunden. Predictive Maintenance hilft ihm, die Produktionseffizienz zu optimieren. Um das zu erreichen, greifen wir auf Daten und unsere große Erfahrung zurück. Wir versuchen also etwa, das Auswechseln einer Spindel so spät wie möglich zu terminieren. Ziel ist es, die Produktionskosten zu senken, die Produktionssicherheit zu erhöhen und die Standzeiten zu minimieren. Das sind die entscheidenden Parameter für unsere Kunden.
Evangelos Xevelonakis: Setzen Sie dafür Prognosemodelle ein?
Stephan Nell: Wir sind dabei, sie zu entwickeln. Man kann etwa bei einzelnen Bauteilen anhand der Toleranzen ablesen, wie sich der Verschleiß verhält. Oder Sie können an Temperatursensoren sehen, wie der Zustand etwa von Lagern ist.
Frau Diethelm, inwieweit kann man Verantwortlichkeiten aufteilen, beziehungsweise wie müssen Hersteller und Kunden zusammenarbeiten?
Cornelia Diethelm: Ich glaube, es sind alle gefordert. Das ist letztlich ein Zusammenspiel entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Es nützt mir nichts, wenn ich verantwortungsvoll bin, aber einen Hersteller habe, der das nicht ist. In diesem Sinne bin ich überzeugt, dass verantwortungsvolle Hersteller ein Benefit sind für verantwortungsvolle Unternehmen. Das ist wirklich eine Partnerschaft, ein Miteinander.
Stephan Nell: Es braucht einfach Transparenz. Man muss offen sein und sagen, wie man sich verhält. Wenn Sie als Unternehmen global unterwegs sind, begegnen Ihnen unterschiedliche Regeln und Kulturen. Da gibt es dann nicht eine Lösung, sondern wir müssen das mit dem Kunden in jedem Land individuell erarbeiten. Vielleicht noch mehr als in anderen Branchen braucht es im Investitionsgütergeschäft eine Vertrauensbasis. Dieses Geschäft basiert auf Vertrauen, egal ob mit Daten gearbeitet wird oder nicht. Für den Kunden ist es entscheidend, dass sein Produktionsprozess dauerhaft stabil bleibt. Deshalb muss er sich darauf verlassen können, dass wir ihn langfristig unterstützen können, mit Ersatzteilen, Software und Hilfestellung. Sehen Sie: Die installierte Basis unserer Maschinen umfasst heute ungefähr 50.000 Anlagen weltweit. Darunter sind viele älter als 25 Jahre.
Evangelos Xevelonakis: In diesem Kontext vielleicht mal ein kleiner psychologischer Exkurs. Es gibt das Phänomen der Intentions-Verhaltens-Lücke. Das meint die Diskrepanz zwischen dem, was ich sage, und dem, wie ich handle. Wenn da also jemand ist, der aus Angst vor Missbrauch seine Daten nicht herausgibt – der privat aber auf Social Media aktiv ist. Das heißt, wir sehen eine Lücke zwischen Absicht und Handeln. Und für den wäre es sicher wichtig zu wissen, welche Vorteile er hat, wenn er doch seine Daten teilt. Das heißt, neben der Transparenz ist es wichtig, dass man den Nutzen quantifiziert. Und zwar möglichst in Geldeinheiten.
Stephan Nell: Dieselbe Frage stellen wir uns auch. Wir investieren viel in die Entwicklung solcher Lösungen. Dafür muss das, was wir im Digitalbereich anbieten, für den Kunden einen messbaren Mehrwert bringen.
Wie wichtig sind interne ethische Regeln für einen vertrauensvollen Umgang mit Kunden?
Cornelia Diethelm: Sicher sehr wichtig. Man macht das ja, um den Kunden Sicherheit und Vertrauen zu geben und sich dadurch vielleicht auch von der Konkurrenz zu unterscheiden. Deshalb ist die interne Informationssensibilisierung sicher extrem wichtig. Die Welt wird immer datenbasierter, und deshalb muss sich die Kultur einfach weiterentwickeln. Trotzdem denke ich, dass wir bei Diskussionen um Datenschutz und Ethik nicht in Panik verfallen sollten. Neben all den Risiken sollten wir auch immer die Vorteile der Arbeit mit Daten sehen. Denn wenn wir nicht auf Basis von Daten urteilen, ist das definitiv ein Blindflug. Aber ich glaube, kulturell ist es manchmal einfacher, die Risiken statt der Chancen und Möglichkeiten zu sehen. Das liegt vielleicht an unserer europäischen Kultur, oder?
Stephan Nell: Vielleicht ist es aber auch eine Generationenfrage. Wenn ich mir meine Kinder anschaue, die gehen mit solchen Themen ganz anders um.
Cornelia Diethelm: Letztlich befinden wird uns in einer Übergangsphase, in der die Akteure unterschiedliche Wertvorstellungen und unterschiedliches Wissen haben. Ich habe das Gefühl, dass sich die Unternehmen dessen bewusst sind und manchmal sogar verantwortungsvoller handeln als Einzelpersonen, die vielleicht auch bequem werden. Doch die Unternehmen stehen im Fokus und haben viel zu verlieren. Und Vertrauen ist ein Asset, das man definitiv nicht verlieren will.
Ändert sich das Vertrauen, wenn man mit Kunden, wie jetzt in der Pandemie, ausschließlich digital kommuniziert?
Cornelia Diethelm: Grundsätzlich läuft Vertrauen über Menschen. Vertrauen ist ein emotionaler Wert. Digitale Tools sind Hilfsmittel für den Menschen. Aber das Business schließt der Mensch ab, und Vertrauen findet zwischen Menschen statt.
Stephan Nell: Da bin ich bei Ihnen, Vertrauen ist ein menschlicher Wert. Bereits bestehende Beziehungen können sicher auch digital auf eine vertrauensvolle Weise weitergeführt werden. Bei neuen, gerade entstehenden Beziehungen bin ich aber skeptisch, ob die sich auf digitalen Kanälen genauso vertrauensvoll aufbauen lassen.
Cornelia Diethelm: Von der Qualität der Kommunikation her bin ich ganz bei Ihnen. Aber vielleicht ändert sich das mit der Zeit. Und Vertrauen baut sich ja auch mit der Zeit auf, das entsteht nicht im Augenblick, sondern es gibt mehrere Kanäle über einen längeren Zeitraum.
Frau Diethelm, inwieweit hat die Coronapandemie die Erwartung verändert, die Stakeholder und Kunden großen Unternehmen entgegenbringen?
Cornelia Diethelm: Ich glaube, es ist eher die Erwartung, dass jetzt die Digitalisierung schneller voranschreitet. Wir haben alle die Erfahrung gemacht, dass viel mehr möglich ist, als wir ursprünglich dachten. Der Umgang mit der Pandemie war in gewisser Weise ein soziales Experiment.
Herrn Xevelonakis, Sie arbeiten mit dem Begriff Process Mining. Was bedeutet das? Und können Sie damit Prozessoptimierung und Kundenorientierung unter einen Hut bringen?
Evangelos Xevelonakis: Daten sind genau genommen die Produkte von Prozessen. Sie entstehen im Lauf der Zeit, im Verlauf von Prozessen. Und Prozesse kann ich daraufhin analysieren, ob sie auf die Kundenzufriedenheit einzahlen. Das ist das Process Mining. Ich kann ein Modell entwickeln, das mit Machine Learning und Algorithmen voraussagt, wann ein Kunde zufrieden sein wird. Dann gibt es auch noch den Begriff Customer Effort. Der gibt an, wie viel Aufwand ein Kunde betreiben muss, damit seine Frage oder sein Problem zufriedenstellend gelöst wird. Process Mining soll allerdings als soziotechnisches System umgesetzt werden. Technische und soziale Aspekte sollen im Hinblick auf das Zusammenspiel zwischen Menschen, Technologie und Organisation in ein einheitliches System integriert werden, damit Synergieeffekte zugunsten einer verstärkten Wettbewerbsfähigkeit wirken.
Stephan Nell: Damit kommen wir jetzt weg von Maschinen und Daten und hin zum Gesamtkonstrukt Unternehmen. Für diese übergreifende Betrachtung gibt es bei uns das Programm PuLs, Präzision und Leidenschaft. Das ist eine Unternehmensphilosophie, die darauf abzielt, die Verschwendung aus allen Prozessen zu eliminieren. Dafür braucht man Transparenz in allen Abteilungen. Für eine Optimierung muss die gesamte Prozesskette vom Vertrieb über die Produktion bis hin zum Customer Care betrachtet werden. PuLs zielt vor allem auf Prozessstabilisierung und -optimierung ab. Wir wollen sichtbare Resultate für unsere Kunden, wie zum Beispiel Liefertreue und eine konstante Maschinenqualität. Und damit können wir dann letztlich auch unsere Kunden erfolgreicher machen.