Onlinebeitrag

Wie alles begann

Zum 30-Jahre-Jubiläum der UNITED GRINDING Group traf sich CEO Stephan Nell mit Werner Redeker, dem früheren Vorstandsvorsitzenden der Körber AG. Das Gespräch führt zurück in die Neunzigerjahre, als in einer tiefen Krise der deutschen und Schweizer Werkzeugmaschinenindustrie die Unternehmensgruppe Körber Schleifring geformt wurde, aus der die heutige UNITED GRINDING Group hervorging. Und es weist in die Zukunft der Gruppe in einer Welt, in der sich vieles verändert – und doch erstaunlich viel gleich bleibt

Ab 1992 war man in der Körber AG darangegangen, aus den einzelnen Werkzeug- und Schleifmaschinenfirmen in Deutschland und der Schweiz den Körber Schleifring zu formen, 1993, vor 30 Jahren, wurde er gegründet. Im Jahr 2013 wurde die Gruppe aus der Körber AG herausgelöst und in UNITED GRINDING umfirmiert. Stephan Nell war schon davor, 2012, zum CEO berufen worden. Zum Interview traf er Werner Redeker (links), der in den Neunzigerjahren Eberhard Reuther, den damaligen Körber-Vorstandsvorsitzenden, beim Aufbau des Schleifrings begleitete und im Jahr 2000 selbst zum Vorstandsvorsitzenden der Körber AG berufen wurde

Ich zeige Ihnen hier die „Motion“ aus dem Jahr 2013, die damals zur Einführung der neuen Marke und zum neuen Maschinendesign erschienen ist. Erinnern Sie sich, Herr Nell?

Stephan Nell: Das neue Maschinendesign war eine große Enthüllung, damals auf der EMO in Hannover. Erstmals wurde nachaußen sichtbar, dass wir eine Gruppe sind. Gemeinsam haben wir es geschafft, auf der EMO Maschinen von all unseren Marken im neuen Design zu zeigen. Für uns ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Werner Redeker: Das Heft kenne ich noch. Da war ich noch Aufsichtsratsvorsitzender bei Körber. Eine einheitliche Marke für die Gruppe, ein größerer Zusammenhalt, das war schon zu meiner Zeit bei Körber Dauerbrenner, haben wir aber nie so richtig geschafft.

Nell: Mittlerweile hat sich viel verändert. Die Marken arbeiten in vielen Projekten zusammen. Wir haben in vielen Bereichen Arbeitsgruppenüber die Marken hinaus eingeführt. Zusammenarbeit wird großgeschrieben – es ist jetzt ein Miteinander, nicht mehr ein Gegeneinander. Ein gutes Beispiel ist auch unsere neue Bedienoberfläche C.O.R.E. OS, ohne eine enge Zusammenarbeit wäre sie nicht möglich gewesen. Aber auch in Vertrieb, Marketing, Finanzen, Produktion – ich denke an unser Fertigungsstättenkonzept – und in vielen anderen Bereichen erreichen wir zusammen mehr. Dennoch sind wir immer noch nicht dort, wo man hinkönnte.

Redeker: Ich kann Ihnen was verraten, Sie kommen da nie zu 100 Prozent hin …

Im Gespräch erörtern Werner Redeker und Stephan Nell die 30-jährige Geschichte der Gruppe. Einigkeit herrscht darüber, dass es die heutige UNITED GRINDING Group nicht geben würde, hätte die Körber AG in den Neunzigerjahren die damals in einer Krise befindlichen Werkzeug- und Schleifmaschinenfirmen nicht übernommen und neu aufgestellt – mit langem Atem und unternehmerischer Weitsicht

Herr Redeker, Sie haben 1979 als Entwicklungsingenieurbei Körber begonnen.

Redeker: Ich kann mich noch an das Bewerbungsgespräch mit Eberhard Reuther erinnern. Zuerst führte er mich durch die HAUNI. Die HAUNI war damals schon ein Musterbetrieb. Das Mekka der Fertigungstechnik mit den modernsten Maschinen und Ausrüstungen. Und dann gingen wir auf die andere Straßenseite rüber. Auf der anderen Straßenseite war BLOHM. Ein Gegensatz wie Tag und Nacht. Eberhard Reuther erläuterte mir seine Zukunftspläne für BLOHM und überzeugte mich, dort anzufangen. Und was soll ich Ihnen sagen, so wie er es erläutert hatte, kam es, sogar noch besser …

Welche Rolle spielte der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt bei der Übernahme von Firmen wie BLOHM oder SCHAUDT?

Redeker: Bergedorf, der Standort von HAUNI und BLOHM, war Schmidts Wahlkreis. Und Schmidt bat seinen Freund Körber, BLOHM zu übernehmen. Körber ging es aber zunächst nur darum, die Mitarbeiter zu übernehmen, die er für sein wachsendes Geschäft benötigte. Gleichzeitig hatte er aber auch eine Untersuchung über die Zukunft des Werkzeugmaschinenmarkts gemacht. BLOHM hatte damals die berühmte Doppelkopfmaschine für die Turbinenindustrie. Das war interessant.

Nell: Die gibt es heute noch …

Redeker: … und sie war mit ein Auslöser, BLOHM als Werkzeugmaschinenfirma zu erhalten. Eberhard Reuther organisierte die Übernahme und wurde dann sofort nach der Übernahme Bereichsleiter, hat sich als Nichttechniker sehr tief in die Technik eingearbeitet und begonnen, mit viel Elan BLOHM wiederaufzubauen. Da traf ich ihn zu meinem Bewerbungsgespräch.

« ICH GLAUBE NICHT, DASS 1993 JEMAND ANDERER BEREIT GEWESEN WÄRE, SO VIELE FIRMEN ZUSAMMENZUFÜHREN. »
Werner Redeker

Und die damals ostdeutschen Schleifring-Firmen, zum Beispiel MIKROSA, wie kamen die dazu?

Redeker: Schon nach der Wiedervereinigung 1989 standen die ostdeutschen Firmen in der Treuhand zur Disposition. Reuther selbst stammt aus Leipzig. Helmut Schmidt war damals schon im Körber-Aufsichtsrat. Auf der EMO 1992 hat er sich unseren Stand von BLOHM und SCHAUDT angesehen und mich zur Brust genommen: In den nächsten drei Jahren schließt ihr keine der drei ostdeutschen Firmen! Und so haben wir uns dann auch um den ostdeutschen Schleifring gekümmert. Wir haben schwer gekämpft in der Zeit. Ich habe immer gesagt, nur mit BLOHM und SCHAUDT und den drei ostdeutschen Firmen, das geht brutal schief. Die Entscheidung war damals: Entweder wir gehen raus aus den Werkzeugmaschinen, oder wir machen es richtig.

Wie die Entscheidung ausfiel, ist bekannt.

Redeker: Wir haben sehr viele Schleifmaschinenfirmen angeschrieben, sich uns anzuschließen, und es waren viele interessiert. Zu unserer Überraschung auch die Schweizer Firmen STUDER und MÄGERLE. Ich erinnere mich noch an die Erstgespräche. Die beiden Geschäftsführer waren sehr erfolgreiche, aber unterschiedliche Persönlichkeiten.

Nell: Ebenso die Inhaber: Der eine ein bekannter Schweizer Investor, der andere Architekt und Kunstliebhaber – daher kommt übrigens auch der Claim „The Art of Grinding.“.

Redeker: Als alle Gespräche positiv verlaufen waren, war klar, dass wir den Schleifring als eigene Sparte gründen mussten. Es war ja ein ganz anderes Geschäft, als wir es bisher mit HAUNI hatten. Sehr starker Wettbewerb, sehr heterogene internationale Kundschaft.

Wie tief war die Krise damals Anfang der Neunziger?

Redeker: Die Konjunktur war im Keller, weltweit. Industrien wie Automobil oder Turbinen investierten nicht mehr. Ein halbes Jahr lang haben wir zum Beispiel bei SCHAUDT keine Anfrage und entsprechend auch keinen einzigen Auftrag erhalten. Manche Firmen sind wegen geringer Eigenkapitaldecke in der Versenkung verschwunden, oder die Eigentümer haben aufgegeben. Bei vielen ostdeutschen Firmen glaubte man noch aufgrund guter Kontakte zu Russland, dass dieser Markt sich wieder beleben würde: Fehlanzeige! MÄGERLE, das auch in der Krise profitabel arbeitete, wie auch STUDER waren allerdings nicht gefährdet. Aber alle anderen aus unserer neuen Schleifring-Gruppe hätten ohne uns oder einen anderen Investor nicht überleben können.

Herr Nell, Sie haben Ihre Karriere mitten in diese Krise hinein gestartet?

Nell: Na ja, ich habe erst 2002 begonnen. Aber Krisen kenne ich auch, sie sind normal für das Werkzeugmaschinengeschäft. Alle sieben Jahre plus/minus gibt es einen Abschwung, es ist eine volatile Branche. Ich habe Freunde im Lebensmittelbereich, die klagen, wenn die Umsätze um fünf Prozent fallen. Das stört uns gar nicht. Man muss lernen, damit umzugehen, so etwas wie eine Abschwungresistenz entwickeln. Wir müssen immer wissen, was passiert, wenn wir vom höchsten Umsatz um 30 Prozent fallen. Was konkret? Welche Maßnahmen, ab wann wirken sie? Es gibt nur eine Regel: Entlassen von Stammpersonal ist nicht erlaubt. Ziel ist, die Mannschaft zu halten. Weil auch klar ist, es geht danach wieder hoch – und dann sind wir nur erfolgreich, wenn wir auch die Leute haben.

Redeker: Eine vergleichbare Aufstellung hatten wir damals beim Schleifring nicht. Wir hatten einfach für die wenigen Aufträge zu viele Leute. Und die deutschen Firmen ließen sich aufgrund der Gesetzgebung nicht schnell genug anpassen, außerdem taten wir uns bei Körber schon immer schwer damit, Leute zu entlassen. Da herrschte in der Schweiz eine völlig andere Mentalität. Die Menschen in den Betrieben waren trotz Personalabbau viel zufriedener als in Deutschland. Dort wussten sie, wenn es wieder bergauf geht, werden sie ganz schnell wieder benötigt und eingestellt. Ab 1994 war das auch der Fall. Da waren aber viele deutsche Firmen schon verschwunden.

Nell: Wir haben nach jeder Krise der letzten 20 Jahre Marktanteile gewonnen. Weil wir im Konzern die Kraft hatten – und die Leute. Weil wir keine Finanzierung gebraucht haben für größere Aufträge und weil wir Material frühzeitig bestellt haben. Wir verlieren nur dann, wenn es in der Momentaufnahme um den Preis geht. Preiswettbewerbe, wie sie die Wettbewerber aus Verzweiflung betreiben, machen wir nicht mit. Denn was ich verkaufe, hat einen Wert – und den Wert hat es auch, wenn der Markt mal nicht läuft.

Redeker: Sie müssen aber auch die Produkte haben. BLOHM hatte damals, vor der Übernahme durch Körber, seit 20, 30 Jahren auf Standardmaschinen gesetzt, die nie richtig weiterentwickelt wurden. Und Neuentwicklungen gab es kaum. Der Umsatzging stetig zurück, und in der Zwischenzeit war die Konkurrenz in der für die Flach- und Profilschleifmaschinen so wichtigen Turbinenindustrieweit vorangekommen. Mit der Übernahme durch Körber initiierte Eberhard Reuther ein gewaltiges Aufhol- und dann Überholmanöver.

Nell: In der heutigen UNITED GRINDING Group investieren wir jedes Jahr dieselbe Summe für Forschung und Entwicklung, unabhängig von der Konjunktur. Das haben wir schon in der Zeit bei Körber so etabliert. Denn Ausreden, kein Geld für Entwicklung auszugeben, gibt es immer: Wenn es nichtläuft – haben wir kein Geld. Und wenn es läuft – haben wir keine Zeit. Und am Schluss steht eine veraltete Produktpalette. Wir können neue Kunden nur überzeugen, wenn sie mit unseren Maschinen mehr verdienen als mit den Maschinen vom Wettbewerber. Deshalb muss kontinuierlich investiert werden. Klar können Ergebnisse optimiert werden, aber nie auf Kosten von Substanz. Und das andere: Wir können sicher sein, Werkzeugmaschinen wird es immer geben. Solange wir Menschen uns bewegen, wohnen, mit Dingen umgehen, die wir anfassen können.

Redeker: Die Werkzeugmaschine ist die Mutter aller Maschinen, heißt es.

Nell: Das ist ein Geschäft in sehr langen Zyklen. Es geht nicht darum, die Umsatzrendite um zwei Zehntel hochzukriegen. Das ist ein langfristiges Geschäft, und so wollen wir es auch betreiben. Mit Verantwortung.

« WIR SIND EINE VOLATILE BRANCHE. ES GEHT DARUM, EINEN UMGANG DAMIT ZU ENTWICKELN. SO ETWAS WIE EINE ABSCHWUNGRESISTENZ. »
Stephan Nell

Neues Stichwort: Die Schleifring-Gruppe hatte schon mit der Internationalisierung begonnen, heute macht die UNITED GRINDING Group mehr als die Hälfte ihrer Umsätze außerhalb Europas. Was wurde da fortgesetzt, was hat sich verändert?

Redeker: Wir hatten schon mit BLOHM und SCHAUDT große Kunden in den USA und in China, zum Teil auch in Japan. Wir waren nur nach der Größe noch nicht so präsent an diesen Standorten. Dann kam STUDER dazu, mit eigenen internationalen Niederlassungen oder Vertretungen. So konnten wir es uns dann leisten, den Auftritt in den USA auszubauen oder in China. Ansprechpartner vor Ort, Service vor Ort. Wir haben damals um einen Namen für die USA gerungen, UNITED GRINDING Technologies kam dabei heraus. Und daraus ist dann UNITED GRINDING Group geworden. Darüber bin ich sehr froh.

Nell: Der Unterschied ist, wir waren damals ein europäisches Unternehmen mit internationalem Geschäft, und inzwischen sind wir stärker zur internationalen Gruppe geworden. Wer bei UNITED GRINDING North America heute reingeht, nimmt ein amerikanisches Unternehmen wahr, keine Niederlassung eines deutschen oder Schweizer Unternehmens. In China ganz ähnlich. Viele Dinge, die wir heute diskutieren – ihre Weichenstellung hat in der Vergangenheit stattgefunden. Und wir sind auf dem Weg eigentlich gut vorangekommen.

« WIR HATTEN SCHON MIT BLOHM UND SCHAUDT GROSSE KUNDEN IN DEN USA UND IN CHINA. WIR WAREN NUR DER GRÖSSE NACH NICHT SO PRÄSENT. »
Werner Redeker
« DER UNTERSCHIED IST, WIR WAREN DAMALS EINE EUROPÄISCHE FIRMA MIT INTERNATIONALEM GESCHÄFT. HEUTE SIND WIR EINE INTERNATIONALE GRUPPE. »
Stephan Nell

Ein Grund dafür war sicher, dass sowohl der Körber Schleifring als auch UNITED GRINDING Group auf der Idee basieren, unterschiedliche Unternehmen als Gruppe zu führen. Was sind eigentlich konkret die Vorteile?

Redeker: Ganz einfach: dass hinter jeder Firma, jeder Marke eine starke Muttergesellschaft steht. Das hilft bei Krisen – so kann zum Beispiel in  jeder Notlage für Kunden der Service sichergestellt bleiben. Oder es hilft bei der Internationalisierung, dass man sich etwa eigene  Niederlassungen für Vertrieb und Service leisten kann, ohne alles alleine zu finanzieren.

Nell: Indem wir unterschiedliche Firmen haben, haben wir auch unterschiedliche Kunden und Branchen mit unterschiedlichen Konjunkturverläufen. Das führt dazu, dass für die Gruppe jeder einzelne Zyklus weniger ausgeprägt ist. Ein aktuelles Thema,  bei dem die Gruppe hilft, ist die Digitalisierung. Da helfen die Größe und die Kooperation mit mehr Menschen, sie können mehr Knowhow und eine bessere Software entwickeln.

« DER VORTEIL EINER GRUPPE IST, DASS HINTER JEDER FIRMA EINE STARKE MUTTERGESELLSCHAFT STEHT. DAS HILFT AUCH BEI KRISEN. »
Werner Redeker

Gibt es nicht auch Situationen, in denen Firmen gar nicht so begeistert sind, zu einer Gruppe zusammengeschweißt zu werden?

Redeker: Klar gibt es die gesunden Egoismen der einzelnen Firmenleiter. Dieser Egoismus ist teilweise gesund, teilweise aber auch eine Behinderung, Synergien zu heben.

Nell: Begeisterung kommt eigentlich erstspäter auf, wenn dann der Mehrwert sichtbar wird.

Redeker: Wichtig für die Entwicklung der heutigen Gruppe war sicher auch das Stiftungsunternehmen mit der Konstellation Körber AG und Körber-Stiftung – schon ein tolles Konstrukt. Weil so ein Konstrukt ähnlich wie ein Familienunternehmen wirkt, längerfristig denkt, Gewinne im Unternehmen behält. Und den Menschen, die da führen und arbeiten, das Gefühl gibt, auch etwas für die Gemeinnützigkeit zu tun.

Nell: Das ist der Hintergrund, wie die heutige Gruppe entstanden ist.

Redeker: Ohne den würde es die heutige UNITED GRINDING Group nicht geben. Ich glaube nicht, dass im Jahr 1993 irgendjemand anderes bereit gewesen wäre, so viele Firmen, denen es fast allen schlecht ging, zusammenzuführen und dazu die ostdeutschen Firmen zu übernehmen. Diese zwar mit negativem Kaufpreis, also mit Zuschüssen. Aber von Zuschüssen kann man zwei, drei Jahre leben, nicht langfristig. Und dann muss man sehen, dass man langfristig auf einen grünen Zweig kommt. Aber das kann man auch nur in Unternehmen oder in einer Investorengruppe, die längerfristig denkt und nicht nur an morgen und übermorgen.

« DAS IST DER HINTERGRUND, WIE DIE HEUTIGE GRUPPE ENTSTANDEN IST. »
Stephan Nell
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